Gespräch als Wettbewerb
Eines Abends sitze ich mit einer Freundin draußen am Balkon. Es war lauer ein Spätsommerabend. Wir tranken Kakao in zu großen Tassen. Ich war bei ihr zu Besuch. Sie wohnte in einer kleinen gemütlichen Wohnung. Meine Freundin sprach mit mir über ihre Auslandsreisen und ihre Selbstzweifel. Sie fühlte, dass sie nicht den Erwartungen anderer gerecht wird und hadert mit ihrer Rolle in der Gesellschaft.
Solche Gespräche ergeben sich oft ganz natürlich und sie sind immer sehr schön.
Bühnenauftritt
Bei vielen solcher Konversationen, hat man größeren Bedarf zu sprechen. Gründe hierfür sind oftmals ähnliche Erfahrungen, viele Ideen zu den jeweiligen Themen, das Bedürfnis, Wortmeldungen mitzuteilen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass man sich dabei erwischt, wie man nur darauf wartet, selbst zu Wort zu kommen. Es ist beinahe so, als würde das Gegenüber nur kurz einmal Luft holen müssen und man würde den Bruchteil dieser Sekunde nutzen, selbst die eigene Meinung preiszugeben.
Dieses Phänomen ist wie ein Theaterstück auf der Bühne: Der Scheinwerfer schwankt wild durch die Gegend: Sobald man ihn auf sich selbst hat, versucht man, so lange wie möglich das Licht dieses Scheinwerfers zu bekommen. Ich selbst hatte solche Momente, bei denen es fast schon so scheint, als würde ich mich in einem Wettbewerb befinden: Wer hat die einflussreicheren Gedanken auf Lager? Wer erzählt die spannenderen Geschichten? Wer kann sich mehr vom anderen hinabheben? Wer zieht eine Prise Neid an Land? Wer kann das Gegenüber mehr von sich und seiner Meinung überzeugen? Wer bereichert am Ende des Gespräches wem?
Viele solche Gespräche sind zu Beginn gut gemeint. Sie entstehen aus Fragen und Antworten. Im Verlaufe jedoch legt sich der Schalter um und man will mehr und mehr das Plateau verschieben um sich selbst ein kleines Stück profilieren. Diese Gespräche enden jedoch oft damit, dass man sich selbst danach stark hinterfragt, Geteiltes analysiert, Sätze bis ins kleinste Detail zerlegt. Auch findet kein roter Faden statt, keine eindeutige Erkenntnis. Um es etwas anschaulicher zu formulieren: Man fühlt sich leer, weil man nur die eigenen Interessen vertreten wollte: Die eigenen Interessen, sprich die eigene Meinung, die Person, die man denkt, man zu sein und auf das Podium stellen zu müssen. Aber kurz von der Distanz beobachtet: Was war der Grund, dass man zu Beginn ein Gespräch geführt hat? War es das Interesse meiner Freundin an ihrer Reise, ihre Offenheit, mit der sie mir ihre Selbstzweifel offenbarte, oder ihre Sichtweise auf die gesellschaftlichen Erwartungen an sie? Oder war es mein Mitteilungsbedürfnis, mein Drang mich und meine Erfahrungen zu teilen?
Sich selbst mitzuteilen ist keineswegs falsch. Es ist ebenfalls wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beteiligten Gesprächspartnern zu wahren. Aber wenn Sie merken, dass Sie sich mitteilen möchten, weil Sie selbst besser dastehen wollen, halten Sie kurz inne, distanzieren sie sich kurz. Wenn Sie merken, dass Sie nur darauf bedacht sind, sich selbst durch Aussagen oder Verhalten ein wenig abzuheben, dann lieber erst mal den Mund halten. Wenn sich jemand einem vulnerabel zeigt, dann ist es für diese Person nicht hilfreich, wenn ihr Gegenüber ihre Erfolgsgeschichten oder ihre “ach-so-bereichernden-Erzählungen” mitteilt. Zu meiner Verteidigung: Ich habe mich durchaus in beiden Rollen häufig wiedergefunden und das Interessante: Beide Parteien gehen nach Gesprächen ihren Aussagen auf den Grund, zumindest, wenn es Menschen mit nicht ausgeprägten narzisstischen Zügen sind (auch schon erlebt). Ein Gespräch soll kein Wettbewerb sein. Eine Konversation ist primär mündlicher Gedankenaustausch in Rede und Gegenrede über ein bestimmtes Thema. Wenn daraus ein Wettbewerb entsteht, hilft es keinem. Lieber sich selbst ein wenig zurücknehmen und sich fragen: Wie will ich aus diesem Gespräch hinausgehen? Möchte ich jemandem Gehör verschaffen und zuhören oder möchte ich mich inzensieren?
Wird Zeit, dass man sich manchmal ein wenig zurück nimmt, aufhört, einem Gespräch einen Wettbewerbsfaktor zuzuschreiben. Warum denn auch? Wer seinen Selbstwert kennt, muss sich nicht nach außen hin beweisen, diese Person ist einfach da, hört zu, spricht mit guter Absicht.
Aber ein Gespräch als Wettbewerb zu nutzen, sagt mehr über einen Selbst aus, als über das Gegenüber. Wem muss man was beweisen? Warum muss man genau der Person das beweisen?
Funkstille und Konkurrenzkampf
In den letzten Monaten habe ich auch noch folgende Beobachtungen erleben dürfen: Das Bedürfnis, nach einer längeren Zeit der Funkstille zwischen zwei Menschen, beim Aufeinandertreffen nur die besten Seiten von einem zu zeigen: Alles läuft super, alles scheint planmäßig zu verlaufen. Man ist erfolgreich, man macht das, was einem Freude macht, man hat Menschen, die toll sind, man hat ein Zuhause, bei dem man sich wohlfühlt, man erlebt Abenteuer und lange Partynächte. Hand aufs Herz: Das entspricht nicht der Wahrheit: Man erzählt so, weil man einer gewissen Erwartung entsprechen will. Es läuft selten alles nach Plan, man hat selten Antworten auf den Großteil der Fragen. Und wenn das der Fall sein sollte, dann weil man sich es so zurecht biegt: Etwas läuft schief, bedeutet, es ergibt sich etwas anderes, das vielleicht funktioniert.
Kurze Randnotiz: Es gibt Zustände, in denen das Bedürfnis nach Anerkennung und Lob noch verstärkt wird: Unter Einfluss von Alkohol. Da schleicht sich sehr oft die Gewohnheit ein, allwissend zu sein, die abgefahrensten Geschichten erzählen zu müssen, alles im Griff zu haben, auf alle Fragen Antworten zu haben. Ein „Das habe ich noch nicht herausgefunden, das weiß ich noch nicht, aber das ist in Ordnung, das lerne ich noch“ gibt es unter Alkoholeinfluss nicht. Hier werden auch Zustände der Person echter: Die eigene Unsicherheit, die eigenen Ängste, die Zweifel, die Frust, der Selbstwert, die infrage stellende Kompetenz oder die Einsamkeit werden überdeckt von einem Schleier aus scheinbarer Eloquenz, Wissen, Erfahrungen, Geschichten und Wortlauten. Aber dazu später mehr…
Sich selbst nicht zu ernst nehmen und auch mal erwähnen können, dass nicht immer alles nach Plan läuft. Menschen sind nicht dumm. Man merkt nach einer gewissen Zeit, ob ein Mensch echt ist oder ob etwas aufgesetzt ist. Fun fact zum Schluss: Jede Person hinterfragt sich selbst sehr oft und vielen geht es ähnlich: Wir hadern mit uns, wir denken nach.
Ich gehe nachhause an diesem Spätsommerabend und denke über das Gespräch nach. Man wird Gelegenheiten bekommen, wo man es besser machen kann.