Die Horoskop-Lüge: Warum Sie Aussagen über sich selbst glauben

Timo lebt in einer kleinen Altbauwohnung mit Balkon in einem schönen Bezirk. Jeden Morgen blättert er in der Zeitung. Am liebsten liest er sein Horoskop für den bevorstehenden Tag. Er ist Mitte Mai geboren und gehört somit zum Sternzeichen Stier. Timo kann sich gut mit den Eigenschaften seines Sternzeichen identifizieren: Der Stier gelte als treuer und herzlicher Begleiter. Er würde sensibel und großzügig sein, dabei aber selbstbewusst und positiv durchs Leben schreiten, getragen von Geduld und Bodenhaftung. Dies möge an seinem Element, der Erde, liegen. Manche mögen ihm Materialismus unterstellen, doch dies zeuge lediglich von seiner Großzügigkeit, nicht von Geiz. Das Horoskop in der Zeitung ist unterteilt in vier Kategorien. Timo solle heute nicht zuhause bleiben, den laut der Kategorie Liebe verheiße Venus Liebe und Spaß. Die Sterne für Gesundheit würden ihm etwas mehr Rohkost raten und Bewegung an der frischen Luft. Im beruflichen Leben solle er heute ein paar Schritte zurück gehen, um Dinge neu bewerten zu können. Die Finanzen würden ihm raten, mit einem Widder oder Steinbock zu interagieren, sie würden ähnlich denken wie er.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wie sehr könnten diese Aussagen auch auf Sie zutreffen?

Horoskope sind das beste Beispiel für einen Denkfehler: Den Barnum-Effekt, auch Forer-Effekt genannt. Er beschreibt die Neigung von Menschen, vage und allgemein gehaltene positive Aussagen als zutreffende Beschreibung ihrer selbst zu akzeptieren. Dieser Effekt ist eine häufige Form der Selbsttäuschung und selektiven Wahrnehmung: Man möchte hören, was man gerne hören will und denkt: “Passt eigentlich zu mir.” Das Experiment zum Barnum-Effekt wurde vom Psychologen Bertram Forer durchgeführt. Er ließ seine Studenten einen Persönlichkeitstest machen und diesen daraufhin bewerten, wie zutreffend sie ihn fanden. Die Mehrheit der Teilnehmer stimmte zu, obwohl sie alle denselben Text erhalten hatten. Der US-amerikanische Psychologen Paul Meehl spricht bei Horoskopen von einer "Täuschung durch persönliche Validierung" (englisch "personal validation fallacy").

Die Gründe, warum Horoskope so gut funktionieren, sind folgende:

Wünschenswerte Aussagen (Sie sind ein liebevoller und gleichzeitig zielstrebiger Mensch) werden gerne von uns selbst als richtig angenommen. Es ist wie ein Mantel, den man sich bei Kälte überzieht. Gegenüber stehen allgemeine Ängste (Ihre Gesundheit ist Ihnen wichtig!) und tautologische, also selbstredende Erklärungen (Sie gehen nicht gerne ein großes Risiko ein). Außerdem sind schwammige Aussagen bei Horoskopen oder anderen esoterischen Gequatsche zu finden: Sie suchen sich Ihre Ziele ganz genau aus (ein anderer Ausdruck für Zielstrebigkeit, nur dass man denkt, man wäre besonders).

Ein weiterer Bereich, wo der Barnum-Effekt wie Unkraut wütet ist beim Cold Reading: Die Technik ist bei Hellsehern und Lifecoaches beliebt. Sie erweckt den Anschein hoher Kompetenz und Menschenkenntnis, basiert jedoch lediglich auf dem Barnum-Effekt. Das Ziel dabei ist, dass sich Kunden oder Klienten unmittelbar verstanden fühlen.

Werbung macht sich den Barnum-Effekt zunutze. Nehmen Sie beispielsweise den L’Oréal-Slogan: „Weil ich es mir wert bin“. Eine solche Aussage suggeriert, dass der Hersteller die Bedürfnisse und Wünsche seiner Kundinnen kennt und darauf eingeht. Sie schafft auch ein Gefühl der Personalisierung: „Dieses Produkt ist speziell für mich, denn ich bin es mir wert!“ Personalisierte Werbung wird viel stärker wahrgenommen als sachliche Botschaften. Sie fühlen sich als Mensch wertgeschätzt und sind eher geneigt, das Produkt zu kaufen. Social-Media-Marketer sind sich dessen sehr bewusst.

Politiker verwenden häufig den Barnum-Effekt, um eine Verbindung zu Wählern herzustellen: Sie machen allgemeine Aussagen, die so gestaltet sind, dass sich viele Menschen darin erkennen können.

Wenn Sie das nächste Mal Werbung sehen oder Politiker hören, behalten Sie sich die Idee des Barnum-Effekts im Kopf. Lassen Sie sich nicht durch Ihre selektive Wahrnehmung täuschen. Stehen Sie kritisch zu allgemeingültigen Aussagen über sich selbst. Machen Sie einen weiten Bogen um Hellseher und Verschwörer und verwenden Sie stattdessen Ihren Verstand. Den Horoskop-Teil in der Zeitung können Sie ruhig wegschmeißen, den brauchen Sie nicht.

Regina Mader

Regina Mader

schreibt und liest gerne. In ihrer Freizeit geht sie wandern und laufen. Aufgrund ihres derzeitigen Wohnortes fällt die Zahl der potenziellen Bergtouren spärlich aus. Das Einzige, was erklimmt werden kann, ist der Bisamberg oder das Riesenrad. Letzteres ist mehr schlecht als recht. Dafür gibt es in Wien schöne Gebäude. Sie kreierte Salty Mountain, um Gedanken loszuwerden und Denkanstöße zu schaffen.

https://www.saltymountainclub.com/
Zurück
Zurück

Das Konzept der Peinlichkeit: Warum wir uns mehr blamieren müssen, Teil 1

Weiter
Weiter

Der Influencer-Bahnhof: Warum man nicht auf den Zug der Authentizität aufspringen muss