Das Konzept der Peinlichkeit: Warum wir uns mehr blamieren müssen, Teil 1

Die Wellen waren groß und krachten auf uns. Ich klammerte mich an das Surfbrett, als ich unter die brechende Welle tauchte. Beim Auftauchen rollte auch schon die nächste Welle an die Küste. Und wieder stoß ich meinen linken Fuß gegen das Brett, kippte das Board nach unten, holte tief Luft und tauchte unter die Welle durch. Ich drehte mich um, das Wasser war weiß, gebrochen und voller Luft. Vereinzelt waren Köpfe oder Boards zu sehen. Die nächste Welle war schon da, ich drehte mein Board und versuchte, sie zu erwischen. Doch beim Take-off stürzte ich plötzlich, die Welle war steiler als erwartet. Wie in einer Waschmaschine wurde ich unter Wasser herumgestoßen. Ich schlug mit dem rechten Knie am Stein auf, langsam kam die Panik. Unter Wasser vergeht die Zeit langsamer. Solange sich Sauerstoff im Körper befindet, kann man sich jedoch sicher sein, dass man früher oder später wieder an der Oberfläche sein wird. Mein Board war noch mit meinem Fuß verbunden, ich befand mich jedoch mittlerweile ganz nah an den Klippen. Ein Surfer schrie nach mir, ich zeigte den Daumen nach oben. Sofort musste ich mich von den Steinen entfernen, damit mich die Wellen nicht dagegen schleudern. Ich musste schnell wieder rauspaddeln, um der Strömung zu entkommen. Die anderen Surfer schauten mich merkwürdig an. Einige schauten besorgt, anderen waren genervt, dass sie eine so gute Welle an mich verschwendete. Ein Surfer schrie zu mich rüber, ich solle lieber aus dem Wasser verschwinden, ich hätte hier nichts zu verloren. Er hatte sehr wohl nicht Unrecht.

Blamieren geht über studieren

Dieses und weitere Ereignisse im Wasser sind zugegeben nicht sonderlich rühmlich. Man begibt sich oft in gefährliche Situationen. Man verliert Zähne und bekommt unzählige Riff-Schnitte. Einmal erlitt ich eine Gehirnerschütterung, einmal hatte ich eine offene Lippe, einmal ein gebrochenes Board, einmal kam mir beim Duck-Diving der Panzer einer Schildkröte entgegen. Man hat etliche Quallenstiche, Sonnenbrände, Finnen-Schnitte, Beschimpfungen, Egos und Schreie von anderen Surfern, eine Zusammenkunft mit einer giftigen Wasserschlange und einen Zusammenstoß mit einer anderen Surferin. Sie hatte danach einen Riss ich Board, ich hatte ein Hämatom am Oberschenkel. Verletzungen sind nicht angenehm, jedoch ist die Blamage oftmals schmerzhafter. Man macht sich komplett zur Witzfigur, in dem man rauspaddelt, irgendwie mit den anderen mithalten will und sehr oft versagt.

Ein Lernprozess kann nicht stattfinden, wenn man sich nicht probiert, Fehler macht, sich ab und zu blamiert. Zu Beginn wird jeder einmal Anfängerin oder Anfänger sein, unzählige Missgeschicke machen und hoffentlich ganz viel lernen können. Sich bewusst in peinliche Situationen zu begeben ist essentiell, weil man bewusst aus der eigenen Komfortzone tritt. Man tritt als Vollidioten auf. Scham ist eines der schlimmsten Gefühle, die ein Menschen fühlen kann. Und trotzdem ist es wichtig, sich ab und zu bewusst zu blamieren. Raus aus dem bequemen Kokon.

Am Ende eines langen Tages wird es wenige interessieren. Am Ende bleiben einem Erfahrungen.

Regina Mader

Regina Mader

schreibt und liest gerne. In ihrer Freizeit geht sie wandern und laufen. Aufgrund ihres derzeitigen Wohnortes fällt die Zahl der potenziellen Bergtouren spärlich aus. Das Einzige, was erklimmt werden kann, ist der Bisamberg oder das Riesenrad. Letzteres ist mehr schlecht als recht. Dafür gibt es in Wien schöne Gebäude. Sie kreierte Salty Mountain, um Gedanken loszuwerden und Denkanstöße zu schaffen.

https://www.saltymountainclub.com/
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