Der Jona-Komplex

Valesca sitzt in einer Vorlesung, Pharmakologie und Toxikologie. Sie bekommt einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Um sicher zu gehen, dass es kein Prof oder ihre Vermieterin ist, ruft sie die Nummer zurück. Am anderen Ende hebt eine freundliche, ruhige Stimme ab. “Schönen guten Morgen, spreche ich da mit Frau Schütze?" Miriam Justilivic mein Name von der Pferdeklinik Burg Müggenhausen. Wir hatten vor zwei Wochen ein Bewerbungsgespräch. Frau Schütze, ich habe sehr gute Neuigkeiten für Sie: Wir würden uns sehr freuen, wenn wir Sie Teil von unserem Team werden. Valescas Augen werden groß. Sie ist sprachlos. Nach endlosen Absagen wird Valesca eine Chance gegeben. Sie hat die Möglichkeit, ihrer größten Leidenschaft zu folgen und ein Jahr lang in einer renommierten Pferdeklinik zu arbeiten. Doch plötzlich packt sie die Angst – die Angst, ihr Studium für ein Jahr zu unterbrechen und nicht mehr zur Gruppe zu gehören. Valesca fürchtet sich vor ihrem eigenen Erfolg.

Der Jona-Komplex beschreibt nach dem US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow die menschliche Neigung, auf Herausforderungen zunächst mit Zurückhaltung zu reagieren. Dabei werden oft zuerst die Risiken, Gefahren und der erforderliche Aufwand wahrgenommen, was häufig dazu führt, dass wir es vermeiden, uns den Herausforderungen und den damit verbundenen Chancen zu stellen.

Der Name Jonah geht auf die biblische Geschichte zurück. Jonah weigerte sich, Gottes Befehl zu folgen und in Ninive zu predigen, um die Einwohner zur Umkehr zu bewegen. Er gab mangelnde Fähigkeiten als Prediger vor und floh per Schiff in die entgegengesetzte Richtung. Ein Sturm brach aus, und durch das Los wurde entschieden, wer über Bord geworfen werden sollte, um den Sturm zu beruhigen. Das Los traf Jonah, der von einem großen Fisch verschluckt wurde. Drei Tage später spuckte der Fisch Jonah aus, und er erhielt erneut den Auftrag, in Ninive zu predigen, was er diesmal erfolgreich tat. Die Geschichte basiert auf einer absolut wahreren Begebenheit. Der Punkt wird jedoch deutlich: Der Jonas-Komplex beschreibt die Furcht vor dem eigenen Erfolg. Diese Angst steht der Selbstverwirklichung und der Anwendung der eigenen Talente im Weg. Maslow erklärt: „So oft laufen wir vor der Verantwortung davon, die uns von der Natur diktiert wurde, vom Schicksal, manchmal sogar vom Zufall, so wie Jona —vergeblich— versuchte, vor seinem Schicksal davonzulaufen.“

Die Gründe der Angst vom eigenen Erfolg können vielseitig sein. Menschen haben Angst vor einem außergewöhnlichen Leben, weil sie dadurch nicht der Norm entsprechen. Wenn man nicht der Mehrheit entspricht, ist man einsam, weil man weniger auf Gleichgesinnte stoßt. Je weniger eine individuelle Person der Mehrheit entspricht, desto mehr verliert sie den Schutz der Gruppe. Ein weiterer Grund ist die Angst vor Verantwortung, Angst vor Ablehnung des Umfelds oder Angst davor, arrogant oder egozentrisch zu wirken.

Die Folgen des Jona-Komplexes können Prokrastination, Verzögerung oder das Ablehnen von Herausforderungen sein. Valesca könnte sich selbst sabotieren, wenn sie denkt, dass sie nicht mehr in die Gruppe passt.

Regina Mader

Regina Mader

schreibt und liest gerne. In ihrer Freizeit geht sie wandern und laufen. Aufgrund ihres derzeitigen Wohnortes fällt die Zahl der potenziellen Bergtouren spärlich aus. Das Einzige, was erklimmt werden kann, ist der Bisamberg oder das Riesenrad. Letzteres ist mehr schlecht als recht. Dafür gibt es in Wien schöne Gebäude. Sie kreierte Salty Mountain, um Gedanken loszuwerden und Denkanstöße zu schaffen.

https://www.saltymountainclub.com/
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